Crack: Die Lehren aus Genf.
Eine neue Studie von Sucht Schweiz zieht Bilanz
07.06.2023
Die Crack-Problematik in Genf führte zu zahlreichen Medienberichten im Jahr 2022. Um genau zu verstehen, was geschehen ist und welche Lehren daraus zu ziehen sind, hat Sucht Schweiz im Auftrag der Genfer Gesundheitsdirektion Crack-Konsumierende, aber auch Mitglieder der Polizei sowie der Gesundheits- und Sozialdienste befragt. Zudem wurden lokale, nationale und internationale Daten zusammengestellt. Die Ergebnisse zeigen, dass ein Angebot an billigen Fertigprodukten zu einem Anstieg des Crackkonsums und zu einer raschen Verschlechterung der Gesundheit einiger Personen geführt hat. Zu den Betroffenen muss nun wieder der Kontakt geknüpft, auf ihre unmittelbaren Bedürfnisse eingegangen und die Betreuung ihren Möglichkeiten angepasst werden.
Crack ist rauchbares Kokain. Sein Name ergibt sich aus dem Geräusch, das beim Verbrennen entsteht. Seine Wirkung entfaltet sich schnell, was zu intensivem Konsum führen kann. Einige Konsumierende vernachlässigen in der Folge ihre Grundbedürfnisse wie Ernährung und Schlaf. In der Schweiz wird Crack generell von den Konsumierenden selbst aus Kokainpulver in kleinen Portionen hergestellt.
Neues Angebot, gesteigerter Konsum
Daten, die vor 5 bis 6 Jahren erhoben wurden, zeigen, dass der Crack-Konsum schon damals in der Schweiz, besonders in einigen Deutschschweizer Städten, weit verbreitet war. Genf war die Ausnahme: Hier wurde viel Heroin und sehr wenig Crack konsumiert. 2021 veränderte sich die Lage rapide: Neu wurden sehr billige Kleinstdosen von Crackhändlern verkauft. Dass das Produkt plötzlich sehr leicht zugänglich war, führte in Genf zu einer raschen Verbreitung des Konsums. Während 2019 und 2020 lediglich ein Viertel der BenutzerInnen des Konsumraums «Quai 9» dort Crack konsumierten, waren es 2021 schon 45 Prozent und 2022 bereits 62 Prozent. Fast alle konsumierten auch Heroin und andere Produkte.
Verschlechterung der Situation
Wie in anderen Städten auch (Paris, Bremen, Dublin usw.) führte der verbreitete Crack-Konsum bei den Drogenkonsumierenden zu einer Verschlechterung der persönlichen Situation, was die körperliche und psychische Gesundheit angeht, aber auch bezüglich den Betreuungsangeboten, die von Behandlungsabbruch und erschwerten Kontakten betroffen waren. «Quai 9» sah sich mit einem spektakulären Anstieg von Crack-Konsumepisoden (2019 noch 3400, 2022 schon 17’066) sowie vermehrten problematischen Verhaltensweisen (Belästigungen, Aggressionen) konfrontiert. Das Auftreten offener Konsum- und Deal-Szenen, hauptsächlich in den Quartieren Pâquis und Grottes, belastete das Leben im öffentlichen Raum und nährte die Polemik.
Auf unmittelbare Bedürfnisse eingehen, Betreuung justieren
Die befragten Fachleute und die Crack-Konsumierenden in Genf empfehlen ähnliche Massnahmen, wie sie schon in den 1990er Jahren in der Schweiz entwickelt worden waren: auf die Konsumierenden zugehen, auf ihre unmittelbaren Bedürfnisse (Essen, Trinken, Erholung, Wohnen, sichere und hygienische Konsumräume, Grundpflege) eingehen und die Behandlung und Betreuung ihren Möglichkeiten anpassen. Auch ein Fokus auf Menschen mit besonders negativ verlaufender Situation wurde betont.
Im Auftrag des Kantons hat der Verein «Première Ligne», der den «Quai 9» betreibt, einen Massnahmenplan erarbeitet. Dazu gehören ein Sleep-in in den eigenen Räumen, aufsuchende Dienste, tagsüber verlängerte Öffnungszeiten einer Anlaufstelle und die Bereitstellung von Konsummaterial. Andere europäische Städte in ähnlichen Lagen sahen daneben auch Massnahmen vor wie die Verteilung von Lebensmittelpaketen, niederschwellige Unterkünfte und das Angebot von «Auszeiten» in einer Institution. Diese Massnahmen in einem Gesamtplan zusammenzustellen, wurde als wichtig betont.
Zwei Mittel für die Prävention: Marktmonitoring und Zusammenarbeit
Die Crack-Problematik ergab sich in Genf aus einem raschen Umbruch beim Drogenangebot. Um eine solche Entwicklung in Zukunft zu vermeiden, muss über Mittel und Wege nachgedacht werden, wie sich ein solcher Umbruch vermeiden oder wie sich die Reaktionszeit beschleunigen lässt. Mittel hierzu sind ein Monitoring des Drogenmarkts und eine stark intensivierte Zusammenarbeit der Behörden (Gesundheit, Soziales und Polizei) in Genf, aber auch in den übrigen Schweizer Kantonen.
Forschungsbericht Nr. 153 „La problématique du crack à Genève – Situation et réponses“
Zwei Crack-Sorten?
Die Genfer Crack-Konsumierenden unterscheiden zwei Crack-Sorten: Crack, das sie selbst mit Kokainpulver zubereiten, und solches, das von den Dealern fixfertig verkauft wird. Sie erachten die erste Sorte als «hochwertiger» und die zweite als unreiner und mit verschiedenen Mitteln gestreckt (Amphetamine, Benzodiazepine usw.). Die Wirkung dieses «Strassen-Cracks» sei kürzer und stressiger und deshalb auch besonders suchtgefährdend.
Die Schule für Kriminalwissenschaften (ESC) der Universität Lausanne hat Stichproben beider Crack-Sorten analysiert, die sich visuell tatsächlich voneinander unterscheiden. Doch konnten im Labor nur äusserst geringfügige Unterschiede festgestellt werden. Der durchschnittliche Reinheitsgrad war mit über 70 Prozent hoch und beide Sorten waren hauptsächlich mit Phenacetin gestreckt. Die unterschiedliche Wahrnehmung könnte also auf andere Faktoren zurückgehen wie die Dosierung und die Umstände, in denen das Crack beschafft und konsumiert wird.
Für Auskünfte:
Frank Zobel
Vizedirektor von Sucht Schweiz und Co-Autor der Studie
fzobel@suchtschweiz.ch
Tel. 021 321 29 60
Nicole Egli Anthonioz
Projektleiterin Forschung und Co-Autorin der Studie
neglianthonioz@suchtschweiz.ch
Tel. 021 321 29 56
Markus Meury
Mediensprecher Sucht Schweiz
mmeury@suchtschweiz.ch
Tel. 021 321 29 63