Problematische Nutzung und Sucht
In bestimmten Situationen der Vulnerabilität können bestimmte Online-Aktivitäten zu einem Kontrollverlust über die dafür verwendete Zeit führen, was erhebliche negative Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit (z. B. Schlaf), die psychische Gesundheit, das Sozialleben und andere wichtige Aspekte des Alltags mit sich bringen kann. In diesem Fall spricht man von einer problematischen Nutzung, wobei die mit der betreffenden Online-Aktivität verbrachte Zeit kein ausreichendes Kriterium ist.
Eine problematische Nutzung kann in manchen Fällen bis zu einer Sucht führen. Allgemein spricht man von einer Sucht (oder genauer gesagt von einer suchtartigen Störung), wenn es zu einem längeren/anhaltenden Kontrollverlust über die betreffende Online-Aktivität kommt, der es der Person nicht mehr erlaubt, in Bezug auf ihre Lebensgestaltung und in ihre zwischenmenschlichen Beziehungen funktional zu sein. Eine Sucht geht mit dem Leiden der betroffenen Person und einem veränderten Umgang mit ihrer Umgebung einher.
Eine Sucht ist das Ergebnis komplexer Interaktionen zwischen den technologischen Merkmalen von Online-Aktivitäten, sowie psychologischen und biologischen Faktoren des Individuums und gesellschaftlichen Faktoren, die sich auf kulturelle, wirtschaftliche und rechtliche Elemente beziehen.
Die Diagnose einer Online-Sucht muss in einem klinischen Kontext auf der Grundlage einer gründlichen Anamnese gestellt werden und bestimmten Kriterien entsprechen.
Die offizielle Klassifikation der Krankheiten
Die 11. Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) enthält seit einigen Jahren die Diagnose ‘(suchtartige) Glücks- und Geldspielnutzungsstörung’ (insbesondere Online-Glücksspiel) (6C50) und die Diagnose ‘(suchtartige) Videospielnutzungsstörung’ (insbesondere Online-Videospiele) (6C51).
Laut ICD-11 zeichnet sich eine Sucht dadurch aus, dass es zu einem Kontrollverlust über das Spielen kommt, dass dem Spielen eine höhere Priorität zukommt, so dass es andere Interessen und Alltagsaktivitäten verdrängt, und dass trotz der negativen Auswirkungen weiter oder immer häufiger gespielt wird.
Damit diese Störung als solche diagnostiziert werden kann, muss das Verhalten so schwerwiegend sein, dass es zu einer nicht vernachlässigbaren Beeinträchtigung der persönlichen, familiären, sozialen, erzieherischen und beruflichen Aktivitäten oder anderer wichtiger Funktionsbereiche führt, und es muss üblicherweise über einen Zeitraum von mindestens zwölf Monaten deutlich zum Ausdruck kommen.
Das ICD-11 enthält keine spezifische Diagnose für andere Online-Aktivitäten (z. B. soziale Netzwerke, Shopping). Für diese können jedoch die Kodierungen 6C5Y ‚Sonstige näher bezeichnete Störungen durch Verhaltenssüchte’ und 6C5Z ‘Störungen durch Verhaltenssüchte, nicht näher bezeichnet’ verwendet werden.
Das 2013 veröffentlichte diagnostische Manual DSM-5 der American Psychological Association (APA) schließt die ‚Glücksspielstörung‘ als nicht-substanzgebundene Sucht ein. Dagegen wird hier argumentiert, dass die Internetspielstörung (Internet Gaming Disorder) noch weiterer Untersuchungen bedarf, bevor sie als neue Diagnose aufgenommen werden kann.
Risikofaktoren
Bisher konnten folgende Merkmale – ohne dass ein Kausalzusammenhang hergestellt werden konnte – mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für eine problematische Nutzung in Verbindung gebracht werden.
Technologische Mechanismen, die besonders problematisch sind
Mediziner/innen, Forschende und Präventionsexpert/innen sind besorgt über das Suchtpotenzial bestimmter Mechanismen, die von den Entwicklern in soziale Netzwerke und Videospiele eingebaut werden, insbesondere für Nutzer/innen, die diesen häufig ausgesetzt sind.
Sogenannte Gamification-Elemente, die einige soziale Netzwerke beinhalten, werden als besonders problematisch angesehen. Dabei handelt es sich um technologische Mechanismen, die von den Entwicklern eingesetzt werden, um die Aufmerksamkeit und Treue der Nutzer/innen zu gewinnen, indem sie ihnen Belohnungen versprechen, wenn sie täglich oder zumindest regelmäßig und so lange wie möglich online sind. Zudem verstärken einige Dienste den Druck, immer online zu sein.
Die Entwickler von Videospielen ihrerseits haben Mechanismen entwickelt, um die Nutzer/innen dazu zu bringen, Geld in die Spiele zu investieren, obwohl diese häufig zunächst kostenlos sind (free-to-play).
Dies gilt insbesondere für Lootboxen, d. h. virtuelle Schatztruhen mit (vermeintlich) zufälligen kostenpflichtigen Inhalten. Lootboxen, die meist durch Mikrotransaktionen erworben werden können, gelten als besonders problematisch, da sie Merkmale von Glücks- und Geldspielen aufweisen und somit Lotterien und Spielautomaten ähneln. Sie sind ein Element der sogenannten Gamblification von Videospielen, d. h. der Einführung von Spielmechanismen, die nicht mehr auf Geschicklichkeit, sondern auf Geld oder Zufall beruhen.
Die Gemeinsamkeit all dieser Mechanismen besteht darin, dass sie darauf abzielen, die Motivation und das Engagement der Nutzer/innen aufrecht zu erhalten, indem sie das Belohnungssystem stimulieren. Das Belohnungssystem ist jedoch nachweislich an der Entstehung einer Sucht beteiligt.
Bis heute wurden zahlreiche Forschungsarbeiten zu bestimmten Online-Aktivitäten durchgeführt, ohne jedoch einen kausalen Zusammenhang zwischen solchen Mechanismen und der Entwicklung einer Sucht nachweisen zu können